Eindrücke von Hilfsfahrten an die ukrainische Grenze

Bevor ich starte zu schreiben und bevor du weiterliest, sei gesagt, dass dieser Bericht meine ganz persönlichen Eindrücke wiedergibt, und andere Personen möglicherweise dieselbe Situation ganz anders wahrnehmen. Sozusagen ein Disclaimer.

Am 15./16. März 2022 machte ich mich zusammen mit dem anderen Fahrer Icke auf den Weg an die ukrainische Grenze. Wir fuhren einen Kleintransporter, organisiert war der Transport von der Organisation „Brucker helfen der Ukraine“ (https://www.brucker-helfen-der-ukraine.de/ ).

Der Transport hatte eine persönliche Note, da der Kontakt in die Ukraine hergestellt wurde durch Natascha, die ursprünglich aus der Ukraine stammt, aber schon lange in Deutschland lebt. Über Natascha’s Verwandte und Bekannte in der Ukraine waren wir in der schönen Situation, die Waren direkt beim Endabnehmer abliefern zu können. Zwar ist in der West-Ukraine (Nähe Lemberg bzw. Lviv) der Krieg zum Zeitpunkt dieses Schreibens nicht in Form von täglichen Kampfhandlungen sichtbar, wohl aber in Form einer riesigen Zahl von Flüchtlingen aus der Ost-Ukraine, die versorgt werden müssen.

Nach etwa 15 Stunden Fahrt übernachteten wir bei der Caritas in Lublin. Dort machte ich die Bekanntschaft von Moritz, einem Mitgründer der „Brucker-helfen-der-Ukraine“. Moritz ist ein außergewöhnlicher junger Mann, der mich tief beeindruckt hat. Er ließ sich von seinem Job beurlauben, um seine Zeit der Ukraine-Hilfe widmen zu können. Als ich mit ihm sprach war er Koordinator aller bei der Caritas Lublin ankommenden Hilfsgüter aus internationalen Transporten. Seine Geschichte hinterließ bei mir bleibende Eindrücke. Das ist übrigens der Fall für alle Helfer bei „Brucker-helfen-der-Ukraine“. Alle verrichten unter großem persönlichen Einsatz einen hervorragenden Job.

Am nächsten Morgen gings weiter zur ukrainischen Grenze, etwa zweieinhalb Stunden Fahrt. Aufgrund einer kurzfristigen Änderung der dortigen Einreisebestimmungen konnten wir zunächst unsere ukrainischen Kontaktleute nicht treffen und mussten über drei Stunden warten.

Während dieser Wartezeit prasselten die nächsten bleibenden Eindrücke ein. Zum einen ein „brandliger“ Geruch in der Luft, als ob man sich in der Nähe eines Waldbrandes befindet. Bedingt durch die Windrichtung an diesem Tag war das offenbar der Geruch von explodiertem Sprengstoff weiter im Osten. Und zum anderen stetige Gruppen von Personen, die zu Fuß die Grenze nach Polen überquerten. Das waren zumeist junge Frauen mit Kindern, und einige alte Leute. Diese Menschen trugen ihre Besitztümer in kleinen Rollkoffern oder Rucksäcken, zum Teil auch in Plastiktüten. Wir sahen hunderte in diesen Stunden. Besonders erinnere ich mich an eine sehr alte Frau, die einen Rollator schob. Sie war alleine, und der Rollator war alles, was sie bei sich hatte, außer ihren Kleidern. Sie war sehr langsam, und ein ukrainischer Grenzbeamter half ihr dann bei ihrem Marsch nach Polen. Man kennt diese Bilder aus dem Fernsehen, aber es ist etwas total anderes, das selbst zu sehen.

Am Nachmittag wurden dann unsere Kontaktpersonen durchgelassen in den Transitbereich, wo wir warteten. Im Bild seht ihr mich in der Mitte. Rechts ist Oleg, der ein bisschen Englisch spricht. Links sein Freund, dessen Namen ich nicht weiß.

Von der Rückfahrt kann ich mich hauptsächlich an zwei Dinge erinnern: erstens war sie sehr lang, denn durch die Verzögerung an der Grenze kam ich erst um 6:30 Uhr am nächsten Morgen nach Hause. Und zweitens hat mich auf der langen Fahrt durch Polen die allgegenwärtige Hilfsbereitschaft beeindruckt. Oft sahen wir polnische Autos mit einem polnischen Fahrer und einer Gruppe von ukrainischen Frauen und Kindern als Passagiere, die also nicht alleine gelassen wurden.

Die Eindrücke lassen mich seitdem nicht mehr los. Schon eine Woche später trat ich die Reise erneut an. Diesmal war ich viel engagierter bei der Organisation. Es tut einfach gut zu sehen, wieviele Menschen etwas Gutes tun wollen. Angefangen von meinem Schwiegervater („wenn du wieder fährst, bezahle ich das Benzin“) über Arbeitskollegen und Freunde, die bei der Finanzierung helfen. Meine Schwägerin, die als Ärztin Rezepte für Medikamente schrieb. Natascha, die unermüdlich ihre Landsleute unterstützt durch Organisation von Hilfsgütern, Übersetzungsdienste, und vieles mehr.

Diesmal fuhr ich mit Dieter, einem Freund von mir. Die Mission war diesmal einfacher und zügiger. Ich hatte ja schon Erfahrung, der Verkehr war besser, und die Situation an der Grenze war einfacher (die Luft war diesmal gut, wahrscheinlich eine andere Windrichtung). Hier ein Foto von uns beiden mit Oleg:

Und solange Putin weiter Krieg führt, wird die Hilfe weitergehen. Meiner Marktfrau ist aufgefallen, dass ich zweimal am Freitag nicht bei ihr einkaufen war. Als ich ihr erzählt habe wo ich war, sagte sie: „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie das nächste Mal fahren. Ich spende etwas.“

Also ist die nächste Fahrt in Vorbereitung. Es muss weitergehen. Und wenn es wirklich noch einer Motivation bedarf, hier ein Textausschnitt aus einem Lied von Reinhard Mey:

Hab‘ ich mir denn nicht selbst erzählt
Dass meine Hilfe gar nicht zählt
Und was kann ich denn schon allein?
Was kann ich ändern an dem Los
Ist meine Hilfe denn nicht bloß
Ein Tropfen auf den heißen Stein?
Und doch kann, was ich tu‘ vielleicht
Wenn meine Kraft allein nicht reicht
In einem Strom ein Tropfen sein
So stark, dass er Berge versetzt
Sagt denn ein Sprichwort nicht zuletzt
Höhlt steter Tropfen auch den Stein.

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