Gemeinsam stark – Neunter Hilfstransport mit vereinten Kräften, bewegenden Geschichten und gesungener Zuversicht

Beim neunten Hilfstransport nach Chervonograd am 3. November 2023 zeigte sich eindrucksvoll, was Zusammenarbeit bewirken kann: Neben Uli Fößmeier und seinem Mitfahrer Claus beteiligten sich gleich zwei Hilfsorganisationen – „Kurz mal helfen“ (alias „Brucker helfen der Ukraine“) und die „Ukrainehilfe Oberland“ – an der Mission. Mit ihrer Unterstützung konnten Generatoren, Schlafsäcke, Isomatten, Campingkocher, Holzöfen, Rollatoren, Feuerlöscher und weitere dringend benötigte Hilfsgüter in die Westukraine geliefert werden. Trotz gesundheitlicher Rückschläge, Fahrzeugsorgen und logistischen Herausforderungen verlief der Transport dank großem Engagement reibungslos. Vor Ort erschütterten persönliche Geschichten gefallener Soldaten und beeindruckten der Einsatz lokaler Helfer und eine aktive Minenschule. Die Fahrt zeigte auch: Die Hilfe aus Deutschland motiviert nicht nur praktisch – sie stärkt sichtbar den Glauben der Ukrainer an internationale Solidarität. Der Abschluss mit Karaoke, Gesprächen und gelebter Freundschaft machte klar: Diese Fahrten sind mehr als Logistik – sie sind Zeichen der Menschlichkeit.

Originalbericht

3. November 2023: zum neunten Mal Aufbruch nach Chervonograd. Die Planung was alles andere als einfach. Die Unterstützung von Kurz-mal-helfen (vielleicht vielen besser bekannt unter dem Projektnamen „Brucker-helfen-der-Ukraine“) hatte lange Zeit ein verwaltungstechnisches Problem, da der Zugriff auf das Bankkonto des Vereins monatelang nicht möglich war. Schließlich klappten die Bestellungen, die Waren wurden aber erst am Tag vor Fahrtbeginn geliefert. Das war knapp. Wir konnten wieder die ersten vier Wünsche der ukrainischen Prioritätenliste bedienen und kauften 11 Generatoren, sowie viele Schlafsäcke, Isomatten und Campingkocher. Parallel dazu intensivierte ich meine Zusammenarbeit mit „Ukrainehilfe Oberland“ und bekam aus dem Lager in Penzberg Holzöfen, Feuerlöscher, Rollatoren, Rollstühle und einige andere Dinge, alles hoch auf der ukrainischen Wunschliste. Die Fahrt war also eine Gemeinschaftsaktion der beiden Hilfsvereine.

Beladen des Autos geschah am Abend vor der Abfahrt, bei strömendem Regen.

Mein Mitfahrer war Claus. Wieder planten wir den Grenzübertritt für den frühen Morgen und verbrachten die Nacht in einem Hotel in Narol, kurz vor der ukrainischen Grenze. Bis wir dort ankamen gab es aber noch Hindernisse. Zunächst einmal wurden wir kurz vor der tschechischen Grenze von der deutschen Polizei kontrolliert, sozusagen als Abschied von Deutschland. Dann verlor ich während der Fahrt komplett meine Stimme und konnte am Ende nur noch flüstern. Ich war leider kein guter Unterhalter für Claus. Ich hatte keinerlei andere Symptome einer Krankheit, aber es dauerte eine ganze Woche, bis die Stimme wieder voll da war. Das andere Problem war, dass wir auf halbem Weg einen Steinschlagschaden an der Windschutzscheibe hatten, und sich ein Riss in der Scheibe entwickelte, der mit der Zeit länger wurde. 


Wir suchten Hilfe bei zwei Autowerkstätten in Kattowitz, es war aber bereits zu spät am Freitagnachmittag, und sie konnten uns nicht helfen. So beschlossen wir weiterzufahren und zu hoffen, dass die Scheibe lange genug hält. Ich gab die Situation nach Chervonograd durch und fragte, ob sie dort unser Problem reparieren können. Sofort begann dort die Suche nach einer neuen Scheibe und einem Mechaniker, der sie einbauen kann.

Nach einem schnellen Tee um 5:00 Uhr Früh, und ausgerüstet mit einem Lunchpaket ging es an die Grenze, und wieder war die Zeitplanung ein voller Erfolg: fast keine Autos vor uns. Eine weitere Tradition wurde fortgesetzt, da der ukrainische Zoll wie immer unzufrieden war mit meiner Zollbescheinigung. Der Beamte stellte viele Fragen und füllte ein neues Formular aus. Trotz dieses Aufwands dauerte der Grenzübertritt nur 90 Minuten, wunderbar. So erreichten wir vor 10:00 Uhr unser Ziel.

Zuerst besuchten wir wieder den Friedhof. Der Abschnitt mit den Kriegsgräbern war inzwischen voll, und es wurde ein zweiter Bereich des Friedhofs für die gefallenen Soldaten verwendet. Oleg zeigte mir ein Grab eines Bekannten von ihm mit einer besonders traurigen Geschichte. Der Soldat hatte ein paar Tage Heimaturlaub von der Front, um sein neugeborenes Baby zu sehen. Nach seiner Rückkehr zur Front wurde er getötet. Das Kind wird seinen Vater nie kennen.

Gleich neben dem Friedhof ist ein Waldstück mit einer kriegerischen Vergangenheit. Dort war zu einem Zeitpunkt des zweiten Weltkriegs die Front zwischen der Besetzung der deutschen Wehrmacht und den sovietischen Truppen. Es gibt noch Bunker als Zeugen dieser Zeit.

Später wurde das Gelände vom sovietischen Militär genutzt als Stützpunkt für Atomwaffen. Aus dieser Zeit des kalten Kriegs zeugen noch zahlreiche Bauten, wie zum Beispiel dieser Hangar:

Der nächste Programmpunkt war das Entladen des Autos. Beim letzten Mal war die Gegend des Lagers eine große Baustelle, die uns einige Probleme bereitet hatte. Diesmal war alles fertig, und wir konnten das Lager auf einer neuen Straße ohne Schlaglöcher anfahren. Mit großer Unterstützung ging das Entladen schnell vonstatten.

Nach dem Entladen lieferten wir das Auto ab zur Reparatur der Windschutzscheibe und wurden zu einem Restaurant gebracht zum Mittagessen. Ukrainische Mahlzeiten zeichnen sich neben dem tollen Geschmack durch ihre Üppigkeit aus und die Alkoholmenge, die dazu serviert wird.

Auf einmal gab das Handy eines unserer Freunde lauten Alarm. Er schaltete es sofort aus. Oleg erklärte, dass das ein Luftalarm war. Er meinte, wenn wir wollten, könnten wir zu einem Luftschutzraum gehen. Es machte aber niemend im Restaurant Anstalten aufzubrechen. Ich fragte, warum nur ein Handy Alarm geschlagen hat und nicht alle. Die Antwort war, dass die meisten Leute das Alarmsystem deaktiviert haben, weil Chervonograd kein lohnendes Ziel russischer Angriffe ist, und die Gefahr nur für große Städte besteht und für Einrichtungen der Infrastruktur. Er meinte, wenn er jetzt in Kiev wäre würde er in einen Schutzraum gehen, aber nicht hier. Also setzten wir unsere Mahlzeit fort, wie alle anderen Gäste auch.

Für eine halbe Stunde konnte sich Volodymyr zu uns gesellen, im Foto links hinten.

Er ist Vizebürgermeister und musste dann einer weiteren traurigen Pflicht nachgehen bei einem Soldatenbegräbnis. Er erzähle uns, dass der Gefallene nur durch einen DNA-Test identifiziert werden konnte, so wenig ist übriggeblieben. Es sind diese Geschichten, die mich in meinen Bemühungen weitertreiben. Wie kann ich denn mit dem Wissen solcher Geschehnisse gemütlich in meinem Wohnzimmer sitzen?

Nach dem Essen durften wir eine Schule für Minenarbeiter besichtigen, wo uns Ausbilder Juro eine Führung gab. Die Schule ist momentan die einzige aktive Schule dieser Art in der Ukraine, da sich die einzige andere Schule im Kriegsgebiet befindet.

Die Reihe von Stühlen im Hintergrund zeigt einen weiteren Zweck, der die Anlage momentan dient: als Schutzraum für den Fall eines Luftangriffs. Auch wenn wir hier weit von der Front entfernt sind ist der Krieg doch allgegenwärtig.

Der Stollen ist einer echten Mine nachempfunden, zu Übungszwecken. Der Hauptunterschied ist, dass die echte Mine 500 Meter unter der Oberfläche ist, während wir nur wenige Meter unter der Erde waren. Hier ein Bild mit Jura, dem Ausbilder:

Im Eingangsbereich sahen wir ein Ausstellungsstück, das ich zunächst als Kunstwerk angesehen hatte. Nastya erklärte uns dann, dass es sich dabei um ein Tarnnetz handelt. Diese können von Freiwilligen in Handarbeit hergestellt werden und dienen an der Front zur Tarnung von Soldaten gegen Erkennung aus der Luft. An der Farbe erkennt man die Jahreszeit. Als Vorbereitung für den Winter werden momentan weiße Tarnvorrichtungen hergestellt.

An dieser Stelle diskutierten wir die weiteren Pläne des Tages. Falls wir am selben Tag zur Rückfahrt aufbrechen, wollte ich nicht später als um 17:00 Uhr losfahren, um noch eine gute Chance zu haben, zu einer vernünftigen Tageszeit zu einem Hotel in Polen zu kommen. Unsere Freunde wollten uns aber noch zum Grillen in einem Schrebergarten von Nadya einladen, also beschlossen wir die Nacht in Chervonograd zu bleiben. Zunächst holten wir unser Auto ab, mit neuer Windschutzscheibe. Ich glaube nicht, dass ich einen so schnellen und zuverlässigen Service in Deutschland hätte finden können. Dann gings zum Schrebergarten, wo es weiteres Essen und Getränke gab.

Die Nacht konnten wir in einem Haus verbringen, das für Frauen gedacht ist, die Opfer von häuslicher Gewalt sind. An diesem Wochenende war die Einrichtung nicht bewohnt und wurde uns zur Verfügung gestellt. Aber vor dem Schlafen saßen wir bis nach Mitternacht mit unseren Freunden zusammen, diskutierten und politisierten. Nastya drückte ihre (und die allgemeine) Meinung so gekonnt aus, dass ich ihr zusagte, ich erwarte sie in der Zukunft als Präsidentin der Ukraine zu sehen. Das war eine sehr beeindruckende Vorstellung der jungen Frau.

Wir hörten immer wieder, wie dankbar unsere Gastgeber für unsere Hilfe sind. Das ist natürlich Höflichkeit. Wir haben aber auch verstanden, dass unsere Hilfe neben unserer materiellen Unterstützung noch einen anderen, vielleicht wichtigeren Aspekt hat: auch in der Ukraine sind die Menschen kriegsmüde. Die Motivation sich einzusetzen ging seit Kriegsbeginn stark zurück. Unsere Rolle ist es, als Vorbild zu dienen. Wenn sich schon Ausländer einsetzen, sollte man Unterstützung auch aus der eigenen Bevölkerung erwarten. Also vielleicht können wir durch unsere Aktionen auch Ukrainer motivieren, stärker mitzuhelfen, den russischen Angriff abzuwehren. Diese psychologischen Hintergründe spielen oft eine große Rolle.

Der Abend klang mit Karaoke aus, und meine Stimme (gut geölt durch große Mengen Vodka) erlaubte mir sogar ein bisschen zu singen. Allerdings waren es andere Künstler, die durch ihr Können beeindruckten, hier im Bild Nastya (die von der anderen Nastya beobachtet wird).



Am nächsten Tag brachen wir um 5:00 Uhr zur Rückfahrt auf. Wir absolvierten den Grenzübergang in der Rekordzeit von 30 Minuten. Ich vermute, dass die Tageszeit wirklich der Schlüssel ist zum schnellen Grenzübertritt. Gegen 20:00 Uhr war ich nach einer ereignislosen Rückfahrt zu Hause und fiel erschöpft ins Bett.