Mit Generatoren gegen die Dunkelheit – Hilfstransport in ein Land im Ausnahmezustand

Im Dezember 2022 startete ein weiterer Hilfstransport der Initiative „Brucker helfen der Ukraine“ nach Chervonograd – unter erschwerten Bedingungen und mit neuer Ausrichtung. Angesichts der massiven russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur wurden diesmal vor allem Stromgeneratoren, medizinische Ausrüstung und warme Kleidung geliefert, finanziert durch Spenden aus Gröbenzell und privaten Aktionen. Die Fahrt war geprägt von organisatorischen Hürden, eisigen Nächten ohne Strom, bewegenden Begegnungen mit Einheimischen – und einem erschütternden Besuch eines Soldatenbegräbnisses. Trotz aller Widrigkeiten endete die Mission mit Dank und Anerkennung durch den Bürgermeister von Chervonograd – und der Gewissheit, dass praktische Hilfe vor Ort weiterhin dringend gebraucht wird.

Originalbericht

Am 2. Dezember 2022 ging es wieder los. Diesmal war wieder Dieter dabei.

Es gibt eine Vorgeschichte zu unserer Fahrt. Am 15. November gab es den bis dahin schwersten russischen Raketenangriff auf die Ukraine, als 90 Raketen abgefeuert wurden. Viele Ziele der elektrischen Infrastruktur wurden zerstört. Ein solcher Einschlag geschah 30 Kilometer von Chervonograd, wo ein Umspannwerk zerstört wurde. Unsere Bekannte Olya erzählte, dass ihr Vater die Explosion gehört hat. Die Leute waren einen Tag lang ohne Strom, Wasser, Heizung und Kommunikation. In den Tagen danach wurden diese lebensnotwendigen Dinge nach und nach repariert. Am selben Tag gab es einen Raketeneinschlag in Polen, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Die genauen Details sind bis heute unklar oder nicht veröffentlicht. Der Ort in Polen, der getroffen wurde, liegt nur 23 Kilometer von Chervonograd entfernt, direkt auf der anderen Seite der Grenze.

Eine weitere Vorgeschichte ist, dass im Vorfeld bei der Planung vieles schiefging:

  • Ich habe wenige Tage vor der Fahrt bemerkt, dass ich einen Arzttermin zum Ohrenputzen brauche, sonst können die während der Fahrt verschließen. Glücklicherweise hat das noch geklappt.
  • Ebenfalls einige Tage vor der Fahrt ging meine Brille kaputt. Auch das konnte ich rechtzeitig reparieren lassen.
  • Ebenfalls einige Tage vor der Fahrt stellten wir fest, dass durch ein Missverständnis das Auto noch Sommerreifen hatte und die Vertragswerkstatt Urlaub hatte. Auch das konnten wir regeln.
  • Zwei Tage vor dem geplanten Beladen im Fliegerhorst kam die Nachricht, dass der Fliegerhorst die ganze Woche gesperrt ist wegen einer militärischen Übung. Es kostete die Vereinschefs von „Brucker helfen der Ukraine“ einige Telefonanrufe, um eine Sondergenehmigung zu bekommen, abends um 22:00 Uhr zum Beladen aufs Gelände fahren zu dürfen.

Nachdem wir alle Probleme gelöst hatten, konnte es losgehen.

Unsere Ladung war diesmal anders als bei den bisherigen Fahrten. Lebensmittel und Hygieneprodukte machten nur einen kleinen Teil aus. In der Hauptsache lieferten wir:

  • Stromgeneratoren
  • Warme Kleidung
  • Medizinische Geräte und Ausrüstung

Man sieht daran, dass der lange Krieg, der Winter und die russische Strategie der Zerstörung der ukrainischen Energieinfrastruktur die Bedürfnisse geändert haben. Es war ein komisches Gefühl, den Großteil der verfügbaren Spendengelder für Generatoren auszugeben anstatt für Lebensmittel, aber das war ganz klar der Wunsch. Den größten Teil der Geldspenden für die Generatoren konnte ich vom Bücherflohmarkt Gröbenzell und der Gemeinde Gröbenzell organisieren, aber auch private Geldspenden konnten wir nutzen. Hier ein Foto vom Einladen der Generatoren:

Neben den Generatoren hatten wir aber auch Dinge dabei, die von Verwandten und Freunden gespendet waren, unter anderem von einer Spendenaktion im Tennisklub Puchheim. Das sind alles Waren, die Dieter und ich durch private Initiativen gesammelt hatten:

Den Rest des Laderaums haben wir dann mit Waren aus dem Lager von „Brucker helfen der Ukraine“ aufgefüllt.

Die Hinfahrt war ereignislos bis zur ukrainischen Grenze. Dort dauerte die Einreiseprozedur knapp vier Stunden, so dass wir erst gegen Mitternacht in die Ukraine einfahren konnten. Das Hauptproblem war der ukrainische Zoll. Tags zuvor musste ich feststellen, dass die Webseite kaputt war, auf der man normalerweise die Zollerklärung ausfüllt. Ich habe mir also an der Grenze ein Papierexemplar geben lassen und es vor Ort ausgefüllt. Aber der Zöllner hat es nicht akzeptiert. Lange stand ich in der Kälte (er hat von seinem warmen Haus durch ein Fenster mit mir gesprochen) und versuchte vergeblich zu verstehen, was ihm nicht passte. Ich hatte das Formular exakt so ausgefüllt wie die letzten Male. Schließlich kam mir die Idee, unseren Freund Oleg in Chervonograd anzurufen und ihn über mein Telefon mit dem Zöllner sprechen zu lassen. Das hat geklappt und Oleg konnte mir sagen, was der Zöllner wollte: erstens hatte ich ein Feld leer gelassen, wo das Kürzel des Grenzübergangs einzutragen war. Das wurde bisher noch nie verlangt, und außerdem denke ich, der Zöllner weiss doch wo er arbeitet. Er hätte mir doch sagen können, was ich dort eintragen muss. Und das zweiite Problem war, dass ich bei der Deklarierung der eingeführten Waren die jeweilige Menge nur in Gewicht angegeben hatte, nicht aber in Anzahl von Kartons. Auch das hatte ich bisher immer so gemacht. Ich habe also irgendwelche Zahlen eingetragen (an die genauen Mengen konnte ich mich nicht erinnern) und gehofft, dass er die Ladung nicht zu genau überprüft und nachzählt. Nun hat er das Formular angenommen und mir nach einer halben Stunde ordnungsgemäß zurückgegeben. Er hat nicht einmal die Tür des Laderaums aufgemacht. Die eingetragenen Zahlen waren also völlig egal; er bestand lediglich darauf, dass dort irgendetwas steht.

Eine Stunde später kamen wir in Chervonograd an. Wir konnten diesmal in einem Studentenwohnheim schlafen. Eine ältere Dame öffnete dir Tür und führte uns mit einer Gaslampe durchs dunkle Treppenhaus in den fünften Stock. Ich fragte, ob es keinen Strom gibt, die Antwort war „nein“. Auf dem Gang im fünften Stock sah ich in einigen Zimmern Licht. Da drückte die Hausmeisterin auf einen Lichtschalter, und das Licht ging an. Die Erklärung: die russischen Angriffe konzentrieren sich auf die ukrainische Energie-Infrastruktur. Daher sind ständige Reparaturarbeiten notwendig, und der Strom wird oft abgeschaltet. Er wird nur immer zweimal am Tag für vier Stunden angeschaltet. Und wenn man Pech hat, sind diese vier Stunden mitten in der Nacht, wie in unserem Fall. Wir konnten unseren Schlafraum also sogar bei Licht sehen:

Am nächsten Morgen gab es ein kaltes Frühstück bei unseren Freunden. Sie haben uns erzaählt, dass ab Ende der Woche die „zweimal vier Stunden pro Tag“ Regel auch für Gas gelten wird.

Nach dem Frühstück wurden wir im Rathaus von Andriy Zalivskyy, dem Bürgermeister von Chervonograd empfangen, der uns für unsere andauernde Hilfe mit einer Ehrung auszeichnete:

So sieht die Ehrenauszeichnung aus der Nähe aus:

Andriy dankte speziell für die Generatoren. Er meinte, er bräuchte auch einen 40 Kilowatt Generator, um die Wasserversorgung der Stadt zu gewährleisten im Fall von Stromausfällen, und er hat weder Geld dafür noch die Möglichkeit, so ein starkes Gerät in der Ukraine zu kaufen. Man muss dazu wissen, dass öffentliche Gelder in der Ukraine im Krieg nur ausgegeben werden dürfen für spezielle Zwecke, die von der Regierung genehmigt wurden. Und das betrifft fast nur die Unterstützung der Truppen. Daher bleiben so viele Zivilisten ohne Hilfe. Ich befürchte aber, das  es unsere Möglichkeiten übersteigt, ein so teueres Gerät zu besorgen und zu liefern. Wenn da jemand eine Idee hat, bitte gebt mir Bescheid.

Soll ich mich um das Bürgermeisteramt in Chervonograd bewerben?

Ich denke, Andriy macht einen zu guten Job, da könnte ich nicht mithalten. Er nahm sich eine halbe Stunde Zeit für uns, musste dann aber zu einem Soldatenbegräbnis. Ich habe spontan gefragt, ob wir daran teilnehmen könnten, und das war möglich.

Zuerst haben wir aber unsere Waren ausgeladen. Oleg hat uns dann einige Überbleibsel von russischen Raketen und Bomben gezeigt, die in der Ukraine explodiert waren, und die sie als „Andenken“ aufgehoben haben:

Nach dem Ausladen fuhren wir zum Friedhof. Die Trauergemeinde war noch nicht da, sie waren noch in der Kirche. So hatten wir Zeit, den Friedhof zu besichtigen, und speziell die Abteilung, in der die gefallenen Soldaten begraben sind.

Diese Momente waren sehr schwer zu verdauen für mich. Ich bin von Grab zu Grab gegangen und habe jedes Bild angeschaut und alle Jahreszahlen gelesen. Ich zählte 45 Gräber. Der Bürgermeister informierte uns, dass ein weiteres Begräbnis angemeldet wurde für zwei Tage nach unserem Besuch. Dazu kommen 23 bestätigte Gefallene, bei denen es nichts gab, was man begraben konnte. Außerdem 10 Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft und 20 vermisste Soldaten. Und alle diese waren Einwohner von Chervonograd. In Hinsicht Gefallener ist die Stadt am zweitschlimmsten betroffen in der West-Ukraine, nur in der Großstadt Lviv gibt es noch mehr Gefallene. 3000 Einwohner von Chervonograd sind momentan im aktiven Kampfeinsatz.

Hier das Grab eines Soldaten, der 22 Jahre alt war als er fiel:

Das Begräbnis wurde abgehalten von zwei Priestern und dem Bürgermeister. Die meisten Gäste, die eine Funktion ausübten waren Soldaten: Sargträger, Musikkapelle, Salutschüsse. Oleg stand neben mir und musste zweimal weinen. Ich fragte ihn ob der den Gefallenen gekannt hatte. Er meinte, diesen nicht, aber er kannte mehrere, die nun auf diesem Friedhof liegen.

Wenn ihr ein bisschen hineinzoomt erkennt ihr auf diesem Bild den Bürgermeister, Soldaten, die gerade den Sarg aus einem Auto hoben, und die Musikkapelle:

Die Heimfahrt aus Chervonograd ist immer von vielen Eindrücken und Gefühlen geprägt, aber diesmal besonders. Von der Rückfahrt gibt es nur die Geschichte des Grenzübertritts zu berichten. Wir haben bei der Einreise gesehen, dass der Stau für die Ausreise nach Polen durch eine Straßensperre etwa 5 Kilometer vor die Grenze verlegt wurde. Wir versuchten, diese Sperre zu umfahren, um Zeit zu sparen, und wählten einen Feldweg, der uns bis kurz vor die Grenze bringen sollte. Aber nach 2 Kilometern auf diesem Feldweg wurden wir von Soldaten angehalten, die uns erklärten, dass wir umkehren mussten. Dieser Trick war also nicht möglich. Beim Stau vor der Straßensperre fuhren wir zunächst am Stau vorbei bis zur Sperre und fragten den dortigen Soldaten, ob wir zur Grenze weiterfahren könnten. Sie haben uns sofort durchgelassen. Das hat geschätzt zehn Stunden Warten eingespart. Und trotzdem dauerte die Grenzprozedur wieder vier Stunden. Wir waren total durchgefroren als wir endlich nach Polen einfahren konnten. Und zwei Minuten nachdem wir Polen erreicht hatten wurden wir von der polnischen Polizei gestoppt. Es stellte sich heraus, dass ein Scheinwerfer am Auto kaputt war. Nachdem Dieter, der gerade fuhr, viele Fragen beantwortet hatte, unter anderem über seine Eltern, sagte der Polizist in gebrochenem Englisch, dass er 500 Zloty Bußgeld wollte. Dieter sagte sofort „nein“, worauf der Polizist sagte, er meinte 50 Zloty. Das sind etwa 10 Euro. Diese bezahlten wir dann.

Zum Schutz von Dieters Privatsphäre habe ich einige persöniche Angaben geschwärzt.

Nach einer entspannten Übernachtung in einem uns schon bekannten Hotel in Jaroslaw erreichten wir am nächsten Abend unser Zuhause.

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