Beim fünften Hilfsgütertransport im September 2022 machten sich Uli Fößmeier und seine Mitfahrerin Stefania auf den Weg nach Chervonohrad in der Westukraine. Die Fahrt verlief weitgehend reibungslos – bis zur Grenze, wo ein stundenlanger Stau und bürokratische Hürden die Geduld forderten. Vor Ort erlebten die beiden nicht nur die engagierte Arbeit der letzten verbliebenen Hilfsorganisation der Region, sondern auch die Auswirkungen des andauernden Kriegs auf den Alltag: überfüllte Flüchtlingsheime, beschädigte Infrastruktur, eindrückliche Kirchenkunst – und ein tiefer persönlicher Einsatz der Menschen vor Ort. Die Rückfahrt wurde durch ein spontanes Schlafangebot in einem Waldhaus gerettet. Trotz Erschöpfung bleibt die Motivation hoch, weitere Transporte zu organisieren – getragen von bewegenden Begegnungen, Dankbarkeit und dem festen Willen zur Unterstützung.

Am 9. September 2022 machte ich mich zum fünften Mal auf den Weg in die Ukraine, um Hilfsgüter abzuliefern. Meine Mitfahrerin war diesmal Stefania, einigen vielleicht bekannt als „Steffi“. Aber nachdem alle polnischen und ukrainischen Grenzbeamten sie immer mit „Stefania“ ansprachen beschloss sie, diesen Namen nun zu führen.
Ein guter Teil unsere Ladung kam diesmal von einer tollen Sammelaktion des Gymnasiums Puchheim, wo eine neunte Ethikklasse eine Woche lang in der Schule gesammelt hat.

Das Beladen verlief diesmal etwas anders, da das Brucker-helfen-der-Ukraine Lager in einen Bunker des Fliegerhorstes Fürstenfeldbruck umgezogen ist, wo wir nur zwei Tage nach der Gedenkveranstaltung mit Israels Präsident Herzog und Bundespräsident Steinmeier zum 50. Jahrestags des Attentats bei den Olympischen Spielen das Auto füllten.

Die Fahrt verlief gut bis wir die ukrainische Grenze erreichten. Anders als bei den bisherigen Fahrten gab es dort einen kleinen Stau. Es waren 29 Autos vor uns. Das klingt nicht viel, bedeutet aber doch über zwei Stunden Verzögerung. Nach meinen Erfahrungen der letzten Fahrt hatte ich diesmal keine Zollerklärung ausgefüllt, weil deren Bearbeitung eine Stunde in Anspruch genommen hatte. Leider bestand der Zoll auf ein Ausfüllen dieser Erklärung. Ich durfte während der Bearbeitung (die wiederum eine Stunde dauerte) im Zollhäuschen warten.

Der Beamte links arbeitete an unserer Erklärung, während der Kollege rechts die gesamte Zeit Musik auf seinem Handy hörte. Und zwar immer nur zwei Sekunden pro Lied. Naja, endlich ging es weiter und gegen Mitternacht erreuchten wir Chervonohrad.

Wir konnten in einem Jugendklub übernachten, der momentan nicht benutzt wird. Am nächsten Tag gab es ein Frühstück bei unseren Freunden und dann besprachen wir uns im Hauptquartier der Hilfsorganisation. Das ist eine Abteilung der Stadtverwaltung Chervonohrad. Wir erzählten den dortigen Helfern, dass in Deutschland das Interesse an dem Krieg immer mehr nachlässt und es immer schwieriger wird, Spenden zu bekommen. Wir waren sehr überrascht zu erfahren, dass die Situation in der Westukraine ähnlich ist. In der Anfangsphase des Kriegs gab es im Bezirk sieben offizielle Hilfsorganisationen, inzwischen ist Chervonohrad die einzige verbliebene. Aber die Leute dort arbeiten bewunderswert. Ich kann mich erinnern, dass ich Oleg, einen unserer Hauptansprechpartner, später am Tag beim Abschied gefragt habe, ob er noch Pläne für den Rest des Wochenendes hat. Er sagte, er werde arbeiten, und er hatte seit Beginn des Krieges kein freies Wochenende mehr, sondern immer gearbeitet.
Ich fragte, inwieweit in Chervonohrad ein normales Leben herrscht. Sind etwa Schulen geöffnet? Die Antwort war, dass Schulen Präsenzunterricht anbieten können, wenn sie über Schutzräume verfügen. Haben sie keine solchen Räume, müssen die Schüler zu Hause bleiben und online lernen.
Chervonohrad, eine Stadt mit 60.000 Einwohnern, beherbergt gerade 15.000 Flüchtlinge, und für Montag (zwei Tage nach unserer Ankunft) wurden 2.000 weitere angekündigt. Ein Teil der Hilfsgüter wird zur Versorgung dieser Flüchtlinge verwendet. Bei deren Ankunft erhält zunächst jede Person eine Tüte mit Lebensmitteln (links im Bild) und eine Tüte mit Hygieneprodukten (rechts im Bild). Das muss zwei Wochen reichen.

Außerdem wird die Versorgung der Flüchtlingsheime über diese Güter sichergestellt. Der andere Teil der Güter wird mit Kleintransporten in die Kriegsgebiete gefahren, wo sowohl Zivilisten als auch Soldaten unterstützt werden. Die Stadtverwaltung Chervonohrad führt alle zwei Wochen solche Transporte durch.

Solches Bildmaterial ist schwer zu bekommen. Die Gesichter der Soldaten sind aus Sicherheitsgründen unkenntlich gemacht. Auf meine Frage, wie gefährlich diese Fahrten sind, bekam ich Antworten wie diese: „Gefährlich ist es überall. Wenn Putin auf die Idee kommt, dass die größte Hilfsorganisation in der Westukraine ein lohnendes Ziel ist, dann wird es hier bei uns gefährlich.“
Ich fragte, inwieweit die Armee aus Berufssoldaten und Personen, die eingezogen wurden zusammengestzt ist. Die Antwort war „etwa 50:50“. Die Hälfte der Soldaten im Kampfeinsatz sind also Personen, die aus ihren zivilen Berufen geholt wurden und an die Front geschickt. Ich fragte Oleg, ob er theoretisch jederzeit seine Einberufung bekommen könnte. Er meinte, „im Prinzip ja; aber meine Arbeit hier ist so wichtig, dass sie mich wahrscheinlich nicht an die Front schicken.“
Hier übrigens Oleg und Anastasia, unsere beiden Hauptansprechpartner (weil sie Englisch sprechen).

Ein wesentlicher Bestandteil der Unterstützung aus aller Welt ist moralischer Natur. Hier einige Briefe, die aus vielen Ländern ankommen. Viele von diesen Briefen werden an Soldaten im Einsatz weitergeschickt.

Als nächstes fuhren wir ins Außenlager zum Entladen. Die Halle teilt sich die Organisation mit der Post. Das ist hilfreich beim Weitertransport.

Wir lernten einen Ukrainer kennen, der gut Deutsch sprach. Er arbeitet eigentlich in Oldenburg, ist aber bei Kriegsausbruch sofort zurück in die Ukraine gezogen, wo er bei der Organisation der Hilfsleistungen hilft.

Nach dem Ausladen konnten wir eine Flüchtlingsunterkunft besuchen. Das Gebäude war in Friedenszeiten ein Kindergarten. Die Unterbringung war bequemer als in der Unterkunft, die ich bei der letzten Fahrt besichtigt hatte.

Wir sahen viele Kinder.

In der Küche erfuhren wir, dass alle Herde (links im Bild zu sehen) inzwischen kaputt sind und kein Ersatz zu bekommen ist. Wir haben gleich angefangen die Lieferung eines Küchenherds zu organisieren.

In Chervonohrad steht die größte Kirche der Westukraine. Sie wurde erst vor 15 Jahren fertiggestellt.

Im Inneren gibt es zwei große Wandgemälde, die den Himmel und die Hölle darstellen. Auf dem Bild der Hölle sind viele Personen und Symbole zu erkennen, die für das Böse stehen. Links von mir erkennt man etwa ein Hakenkreuz. Und ganz rechts haben sie überlebensgroß den russischen Präsidenten Putin aufgemalt.

Am Nachmittag hieß es Abschied nehmen und wir machten uns auf den Weg zurück zur Grenze. Am Straßenrand sind manchmal Panzersperren vorbereitet, die bei Bedarf auf die Straße gezogen werden können, um feindliche Panzer aufzuhalten.

Die Straßen sind zum Teil in sehr schlechtem Zustand. Die Schlaglöcher, hier mit Regenwasser gefüllt, sind zum Teil 30 Zentimeter tief.

An der Grenze nach Polen, die wir gegen 15:00 Uhr erreichten, erwartete uns eine böse Überraschung. Der Stau war über einen halben Kilometer lang, geschätzt über 100 Fahrzeuge vor uns. Unsere Hoffnung, in Polen in einem Hotel übernachten zu können, schwand. Wir würden zu einer sehr ungünstigen Zeit ankommen. Nach 22:00 Uhr (immer noch im Stau) erinnerte ich mich, dass ich bei der letzten Fahrt einige Mitglieder einer polnischen Hilfsorganisation kennengelernt hatte. Ich schickte eine Nachricht an Tati (eine unserer Bekannten), und zehn Minuten später rief sie an und bot an, dass wir in einem Waldhäuschen bei Przemysl schlafen könnten, das gerade leer steht. Wir passierten die Grenze um 3:00 Uhr nachts (nach 12 Stunden im Stau) und erreichten kurz vor 6:00 Uhr völlig übermüdet unsere Unterkunft.

Nach vier Stunden lebensrettendem Schlaf setzten wir unsere Heimreise ausgeruht fort und kamen Sonntag Abend nach Hause.
Ich möchte noch einige Unterhaltungen wiedergeben, die ich in den Tagen nach unserer Reise hatte. Aus Authentizitätsgründen belasse ich die Nachrichten im englischen Original.
Uli: I am back home
Olya (ihr Ehemann wurde verwundet und kämpft wieder): Did you get there well?
Uli: Yes, all is good. Did you hear from your husband? Is he okay?
Olya: It’s good, yes. We are in touch every other day. Now it is cold, then it hurts, but must fight.
Uli: Good luck. Our thoughts are with you. I hope I get a new trip funded and organized, then I will focus on warm clothes.
Olya: Thank you very much. Support is so important to us.
Und am Tag nach Putins Mobilmachung hatte ich diese Unterhaltung mit Oleg:
Uli: How is the mood after Putin’s mobilizing of 300.000 reservists? And the referendum in Donbass?
Oleg: Mood is fine. We are ready to give answer, because this is our motherland and we must stay for our dignity and independence.
Diese Menschen verdienen unsere Hilfe. Ich mache weiter. Seid ihr auch dabei?
Uli Fößmeier